Montag, 24. August 2020
Tatsachen, Beschäftigungsfokus
Es mag interessant sein, sich vorzustellen, von wie vielen verschiedenen Gesichtspunkten man etwas betrachten kann. Man kann einen Baum ästhetisch schön finden, stadtplanerisch überflüssig, ökologisch wichtig, philosophisch beispielhaft, vorbildlich für Organisationszusammenhänge, usw.
Man kann von Tatsachen sprechen. Tatsachen der Kommunikation zum Beispiel, oder Tatsachen des Buchdrucks. Oder Tatsachen der sozialen Vermitteltheit von Tatsachen. Tatsachen insinuieren, dass man über den Grund ihreres Vorhandenseins nur noch im Rahmen der Vorgaben einer wie auch immer gearteten (Super-)Theorie sprechen kann. Spricht man von Problemen bestimmter Art und Weise, sind Lösungen eines bestimmten Schnittes meist nicht weit entfernt.
Es ist nicht leicht auf den Tatsachen-Schatz zu verzichten, der eine (allzu) schnelle Abstraktion und Vereinfachung der Vorgefundenheit möglich macht. Zumeist hat man anderes zu tun als einfach rauszurechnenden Dissonanzen stattdessen schon an anderer Stelle verplante Ressourcen zu schenken.
Das Ergebnis ist Normalwissenschaft: Es wird an einem bestehenden Forschungsprogramm festgehalten. Nur eine bestimmte Rauschfrequenz interessiert, alles andere muss ausgeblendet werden.
Gibt es Tatsachen des Alltags? Wenn man einen Löffel unter dem Wasserhahn mit der Innenseite nach oben abwäscht, muss man damit rechnen, dass es gewaltig spritzt. Ist das eine Alltagsbeobachtung? Ist das eine Tatsache? Man kann hier inferieren, dass sich Tatsachen dem Beobachter regelrecht aufdrängen, dass die Gegenstände bestimmte (ad-hoc)-Theorien nahe legen und in diesem Sinne handlungsmächtig beteiligt sind.
Es könnte interessant sein, interessante Dinge auf ihre Tatsachenmöglichkeitsräume hin abzuklopfen. Welche Tatsachen lassen sich schaffen? Und wogegen wehrt sich das Phänomen? Die Materialkonfigurationen, in denen ein Ding wie ein Netzwerk eingebettet ist und möglichen Beobachtungssujets, die auch immer etwas über die Gesellschaft mitartikulieren, vermögen gemeinsam die Freiheit eines Beschäftigungsfokus, der im Einklang mit seiner Ressourcenabhängigkeit die derzeitige Tatsachenaktualität als Normalität kontingent werden lässt, zum Vorschein kommen.
Es scheint mir jedenfalls interessant ein Forschungsprogramm zu träumen, dass seine Ressourcen für Räusche dieser Art abstellt.
Mittwoch, 12. August 2020
Zettelkasten als Trend - Latente Kommensurabilität
Der Zettelkasten als Medientechnik hat in diesem Jahr an Traktion gewonnen:
Wahrscheinlich gibt es noch mehr. Und das ist auch nur die Artikulation als Software.
Warum kommt es gerade jetzt zu dieser Ballung? War es eine Frage der Zeit - bei angenommener zunehmender Sofistizierung der Entiwcklertools? Es passiert, weil es jetzt passieren kann?
Interessant ist im übrigen auch, wie wenig man sich am Ende für die systemtheoretische Umwelt der Entstehung des Luhmann'schen Zettelkastens interessiert. Beispielhaft:
Who cares what Luhmann meant by his Zettelkasten "communicates" to him?
I don't want to be Luhmann, I don't want to understand his thinking. I want what Luhmann had. I just want to connect in my own way with my own Zettelkasten.(Quelle)
Was sagt uns das? Zunächst einmal, dass es möglich ist Zettelkästen ohne Systemtheorie zu betreiben. Man kann ja auch Bücher schreiben, die keine Bibel sind - oder was immer man auch als "erstes Buch" setzen will.
Gleichzeitig aber auch ein interessantes Problem: Der Zettelkasten enthält latent die Systemtheorie, sonst hätte er sie nicht kommunizieren können. Der Zettelkasten muss aber nicht auf sie hinauslaufen. Ich habe erfolgreich (im Sinne von: interessant) über die ANT mit meinem Zettelkasten geschrieben. Legt der Zettelkasten dadurch eine Kommensurabilität der ANT in die Systemtheorie und umgekehrt nahe?
Und weiter: Wenn es funktional(?) äquivalente Artikulationen des Zettelkastens gibt: Handelt es sich bei der Systemtheorie trotz ihrer erschöpfenden Reichweite um eine günstige - gar die günstigste und dabei gleichzeitig noch genug Komplexität einschließende - Vereinfachung dieser Medientechnik?
Dienstag, 4. August 2020
Theorie und Erschöpfung
Man kann sich eine Theorie vorstellen, die so mächtig ist, dass sie alle möglichen Phänomene erklärt. Egal welches Phänomen erklärungsbedürftig ist: Es gibt nichts, womit die Theorie nicht klar kommt.
Vermutlich stellt sich eine gewisse Langweiligkeit ein. Was gibt es zur Welt noch zu sagen, wenn man immer auf eine Passage im Theorietext verweisen kann? Es gäbe nichts Neues mehr zu sagen, also auch keinen Grund darüber mit dem Anspruch einer Erklärung zu schreiben: Man würde sich nur wiederholen.
Vermutlich würde man hungrig auf Neues, auf Anderes, noch Unerklärbares werden. Man würde alles was den Anschein hat neu und anders zu sein umarmen wollen. Man würde schließlich versuchen, dieses Neue und Andere selbst zu erschaffen.
Für soziologische Theorien wie der Systemtheorie und auch der ANT heißt das: Veränderung der Gesellschaft/des Kollektivs. Ist die Gesellschaft in ihrer derzeitigen Entfaltung erschöpfend erklärt, dann bleibt eigentlich nur: das Suchen nach Unerklärlichem in Nischen oder die transgressive Veränderung der Gesellschaft durch Einwirkung auf dieselbe.
Man kann natürlich auch Fleißarbeit leisten: In der Geschichte wühlen, explizites Ausbuchstabieren der Erklärung in verschiedenen Fällen, etc. Aber spannend ist nur das tatsächlich Neue.