No niin.

Zettelkasten als Trend - Latente Kommensurabilität

Der Zettelkasten als Medientechnik hat in diesem Jahr an Traktion gewonnen:

Wahrscheinlich gibt es noch mehr. Und das ist auch nur die Artikulation als Software.

Warum kommt es gerade jetzt zu dieser Ballung? War es eine Frage der Zeit - bei angenommener zunehmender Sofistizierung der Entiwcklertools? Es passiert, weil es jetzt passieren kann?

Interessant ist im übrigen auch, wie wenig man sich am Ende für die systemtheoretische Umwelt der Entstehung des Luhmann'schen Zettelkastens interessiert. Beispielhaft:

Who cares what Luhmann meant by his Zettelkasten "communicates" to him? I don't want to be Luhmann, I don't want to understand his thinking. I want what Luhmann had. I just want to connect in my own way with my own Zettelkasten.(Quelle)

Was sagt uns das? Zunächst einmal, dass es möglich ist Zettelkästen ohne Systemtheorie zu betreiben. Man kann ja auch Bücher schreiben, die keine Bibel sind - oder was immer man auch als "erstes Buch" setzen will.

Gleichzeitig aber auch ein interessantes Problem: Der Zettelkasten enthält latent die Systemtheorie, sonst hätte er sie nicht kommunizieren können. Der Zettelkasten muss aber nicht auf sie hinauslaufen. Ich habe erfolgreich (im Sinne von: interessant) über die ANT mit meinem Zettelkasten geschrieben. Legt der Zettelkasten dadurch eine Kommensurabilität der ANT in die Systemtheorie und umgekehrt nahe?

Und weiter: Wenn es funktional(?) äquivalente Artikulationen des Zettelkastens gibt: Handelt es sich bei der Systemtheorie trotz ihrer erschöpfenden Reichweite um eine günstige - gar die günstigste und dabei gleichzeitig noch genug Komplexität einschließende - Vereinfachung dieser Medientechnik?

Theorie und Erschöpfung

Man kann sich eine Theorie vorstellen, die so mächtig ist, dass sie alle möglichen Phänomene erklärt. Egal welches Phänomen erklärungsbedürftig ist: Es gibt nichts, womit die Theorie nicht klar kommt.

Vermutlich stellt sich eine gewisse Langweiligkeit ein. Was gibt es zur Welt noch zu sagen, wenn man immer auf eine Passage im Theorietext verweisen kann? Es gäbe nichts Neues mehr zu sagen, also auch keinen Grund darüber mit dem Anspruch einer Erklärung zu schreiben: Man würde sich nur wiederholen.

Vermutlich würde man hungrig auf Neues, auf Anderes, noch Unerklärbares werden. Man würde alles was den Anschein hat neu und anders zu sein umarmen wollen. Man würde schließlich versuchen, dieses Neue und Andere selbst zu erschaffen.

Für soziologische Theorien wie der Systemtheorie und auch der ANT heißt das: Veränderung der Gesellschaft/des Kollektivs. Ist die Gesellschaft in ihrer derzeitigen Entfaltung erschöpfend erklärt, dann bleibt eigentlich nur: das Suchen nach Unerklärlichem in Nischen oder die transgressive Veränderung der Gesellschaft durch Einwirkung auf dieselbe.

Man kann natürlich auch Fleißarbeit leisten: In der Geschichte wühlen, explizites Ausbuchstabieren der Erklärung in verschiedenen Fällen, etc. Aber spannend ist nur das tatsächlich Neue.

Kurzer Nachtrag zu "Ganz Interessant"

Ich hatte im vorhergehenden Post geschrieben, dass man nicht nur die ANT, sondern auch die Systemtheorie für mein mangelendes Interesse an erkenntnistheoretischem Zweifel haftbar machen könne, hatte aber kein Zitat zur Hand, jetzt aber schon:

Die folgenden Überlegungen gehen davon aus, daß es Systeme gibt. Sie beginnen also nicht mit einem erkenntnistheoretischen Zweifel. (Luhmann, Soziale Systeme, S. 30)

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